"Was halten Sie eigentlich vom Fasten?" ist eine Frage die mir häufig von Patienten gestellt wird. Meine Antwort darauf "nicht allzu viel" ist für viele dann doch ziemlich überraschend.

Interessanterweise scheint die Verknüpfung von Gesundheit mit Verzicht und strenger Restriktion bei der Nahrungsaufnahme nach wie vor recht ungebrochen. So als müsste man sich nur ordentlich quälen, um dafür letztlich mit Gesundheit und Wohlbefinden belohnt zu werden. Diese Verbindung ist bei näherer Betrachtung auch nicht allzu verwunderlich. In den Medien geistern immer wieder Erfahrungsberichte von Fastenden herum, die enthusiastisch vom wunderbaren Wohlgefühl und der "reinigenden Kraft" des Fastens berichten. Fast könnte man mitunter meinen, jede Art von Krankheit ließe sich mittels stringentem Nahrungsentzug problemlos heilen.

Fasten aus Sicht der chinesischen Medizin

Das Problem beim Fasten ist jedoch, dass die Auswirkungen in unserem Körper buchstäblich auf zwei Ebenen ablaufen. Vordergründig sieht es dabei so aus: Sind die ersten schweren Tage mit Hunger, Schwächegefühl und einer zum Teil bedenklichen Grundlaune erst mal geschafft, geht es gefühlt meistens aufwärts. Der Fastende fühlt sich auf einmal wieder erstaunlich gut und recht fit. Der Energiepegel steigt wieder, die Stimmung ebenso. Häufig stellt sich ein Gefühl innerer Klarheit (um nicht zu sagen "Erhabenheit") ein, eine milde "Fasten-Euphorie" bahnt sich ihren Weg.

Doch im Inneren unseres Körpers spielen sich zeitgleich noch ganz andere Prozesse ab. In den ersten Tagen der Nahrungskarenz schaltet unser Körper sozusagen auf Not- und Sparprogramm. Es fehlt ein Grossteil der lebenswichtigen externen Energieversorgung, Qi und Blut können nicht mehr adäquat produziert und genährt werden, unser Stoffwechsel verlangsamt sich. Dies erklärt die Phase der Schwäche, wir fühlen uns hungrig, gereizt und keinesfalls leistungsfähig, die Stimmung sinkt auf den Nullpunkt.

Ein nicht unerheblicher Teil der hoffnungsfroh begonnenen Fastenkuren wird übrigens in dieser Phase frustriert abgebrochen. Man schafft es einfach nicht mehr, sich den beständigen Impulsen seines Körpers nach Nahrung entgegen zu setzen - ein sehr vernünftiger Schachzug der Natur, möchte ich an dieser Stelle nur bemerken.

Doch wird weiter gefastet geht der Körper notgedrungen an seine Reserven, und damit sind keinesfalls (nur) die Fettreserven gemeint! In dieser Phase einer Fastenkur geht es für den Körper buchstäblich ums Überleben. Die physiologische Organfunktion muss unter allen Umständen aufrecht erhalten werden, und dies gelingt jetzt nur noch wenn zusätzlich zum reinen Brennwert der Fettzellen auch auf unsere Essenz im verstärkten Masse zugegriffen wird. Die Essenz (Jing) stellt unser ureigenstes und kostbarstes Reservoir an Lebensenergie dar. Die erhöhte Ausschüttung erklärt einerseits natürlich durchaus die enorme Vitalität und Energie die der Betreffende in dieser Phase des Fastens verspürt. Die Langzeitfolgen sind jedoch unter Umständen verheerend. Der übermässige Essenzverbrauch wird sich immer negativ auf unsere Gesundheit auswirken, im schlimmsten Falle wäre es durchaus lebensverkürzend.

Um es kurz zu sagen: Die goldene Regel der chinesischen Medizin zur gesunden Lebensführung beinhaltet Ausgleich und Masshalten. Schutz und Erhalt der Essenz (und dadurch ein langes Leben bei guter Gesundheit) ist dabei oberstes Ziel!

Dies bedeutet in der Praxis, dass weder ungebremste Völlerei noch allzu frugale Restriktion dem Wohlbefinden sonderlich zuträglich sind. Vielmehr kommt es darauf an den für sich passenden Mittelweg zu finden. Eine gesunde Basis in der Ernährung zu finden, sich von Allem mal ein bisschen zu gönnen und kleinere Ausrutscher sanft auszugleichen. Radikales Fasten ist dabei weder nötig noch empfehlenswert.